Porträt einer jungen Frau in Flammen. Kinostart 31. Oktober 2019 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 15.10.2019


Porträt einer jungen Frau in Flammen. Kinostart 31. Oktober 2019
Saskia Balser

Die französische Drehbuchautorin und Regisseurin Céline Sciamma (Tomboy, Water Lilies, Mädchenbande) erzählt in ihrem beim 72. Cannes Filmfestival gefeierten Drama die Geschichte einer sich allmählich entfaltenden Liebe zwischen einer Adligen und ihrer Malerin im 18. Jahrhundert. In stimmungsvollen Bildern setzt Kamerafrau Claire Mathon nicht nur die Beziehung der beiden Frauen in Szene, sondern weist auch auf die Missachtung hin, die Künstlerinnen auch nach der Französischen Revolution erfahren haben.




Die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant) wird von einer Herzogin auf eine einsame Insel in der Bretagne eingeladen, um das Porträt ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) anzufertigen. Das Gemälde soll deren zukünftigen Ehemann in Italien Héloïses Gesicht zeigen und die Heirat besiegeln. Dass dieser Auftrag einen äußerst ungewöhnlichen Twist hat, erfährt Marianne erst, als sie bereits auf der Insel angekommen ist: Da sich Héloïse weigert, Modell zu sitzen, um gegen die Eheschließung zu rebellieren, muss es Marianne gelingen, das Porträt heimlich anzufertigen. Sie wird dafür engagiert, tagsüber Héloïses Gesicht zu studieren, während die beiden Spaziergänge unternehmen, und nachts aus dem Gedächtnis heraus das Porträt zu malen.
Wie erwartet gestaltet sich das Erstellen des Porträts auf diese Weise als schwierig und Marianne fühlt sich Héloïse gegenüber schuldig, weil sie nicht ehrlich mit ihr sein kann. Die beiden kommen sich auf ihren täglichen Spaziergängen immer näher und tauschen zahlreiche emotional aufgeladene und bald schon leidenschaftliche Blicke aus.

Atmosphärisches Sounddesign und Szenenbild der bretonischen Küste

Das in Cannes in der Kategorie "Bestes Drehbuch" ausgezeichnete Drama bekommt durch kunstvolle Aufnahmen der bretonischen Küstenlandschaft eine atemberaubende, kraftvolle Stimmung. "Porträt einer jungen Frau in Flammen" kommt zudem ganz ohne Musik aus, die Geräusche, die die Zuschauer*innen vernehmen, sind lediglich (wenige) Gespräche, Seufzer, das Rausches des Meeres und das Knistern der Flammen im Ofen. Dadurch entsteht eine einzigartige Atmosphäre, die den Fokus auf das Wesentliche, das Zwischenmenschliche legt. Auch visuell ist der Film minimalistisch angelegt, da nur wenige Orte gezeigt werden. Die Geschichte entfaltet sich im Schloss und am Strand, diese beiden Räume bilden gewissermaßen Gegensätze, zwischen denen sich die Liebe der beiden Frauen graduell in den Blicken aufbaut, die sich die beiden zuwerfen.

Die unterschiedlichen Stadien des Sich Kennenlernens, Annähern, Vertrauen und zueinander hingezogen Fühlens werden von Kamerafrau Claire Mathon in intimen, persönlichen Nahaufnahmen eingefangen. Die Kamera schwankt oft zwischen Close-Ups von den Gesichtern der beiden Frauen und den Wellen, die sich an der steinigen Küste der Insel brechen. Es wird eine geheimnisvolle, sinnliche Atmosphäre kreiert, die auf der großen Leinwand ihre ganze Wirkkraft entfaltet, der Kinobesuch lohnt sich bei diesem bildgewaltigen Drama auf jeden Fall.

Ein femininer Blick auf weibliches Begehren

In Bezug auf die Thematik des Films und dessen zeitliche Verortung spricht Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma über ihre Recherchen zu Künstlerinnen des 18. Jahrhunderts: "Viele von ihnen (den etwa 100 erfolgreichen Malerinnen der Zeit) finden sich in den Sammlungen großer Museen. Aber in den zeitgenössischen Berichten spielen sie keine Rolle. Als ich die Arbeiten dieser vergessenen weiblichen Maler entdeckte, war ich wie elektrisiert, aber es machte mich auch traurig. Traurig, dass ihre Arbeiten geheim blieben, verdammt zur Anonymität." Sciamma macht mit ihrem Film darauf aufmerksam, dass es diese weiblichen Malerinnen gab und sie mehr Anerkennung verdienen.

Schauspielerin Adèle Haenel (Héloïse) sieht darin auch einen politischen Akt und fordert auf zu einem kritischen Blick auf die weibliche Kunsthistorie: "Man geht wie selbstverständlich davon aus, dass weibliche Künstler nach der Französischen Revolution mehr Freiheiten genossen. Dabei ist es anders: Man stand ihnen davor aufgeschlossener gegenüber. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Evolution nicht immer automatisch mehr Freiheit und Verbesserung bedeutet. Auf diese Weise auf Geschichte zu blicken, ist ein Weg, uns Frauen in die Schranken zu weisen. Es ist ein Werkzeug des patriarchalischen Systems, um den feministischen Kampf in der Gegenwart zu diskreditieren."

Mit einem rein weiblichen Cast stellt Sciamma bewusst Frauen in den Mittelpunkt. Das Begehren zwischen Marianne und Héloïse entwickelt sich langsam, jede Nuance der sich verändernden Beziehung wird von Céline Sciamma festgehalten: Es ist ein weiblicher Blick, der die sich entwickelnde Lust und Liebe authentisch darstellt.
Die Darstellung der Beziehung der beiden Frauen braucht zudem, anders als viele andere lesbische (Liebes-) Filme, keine männlichen Gegenspieler. Oftmals werden Männer als die störenden Faktoren der Außenwelt auf die weibliche Beziehung imaginiert – "Porträt einer jungen Frau in Flammen" kommt jedoch ganz ohne diese vereinfachte Gegenüberstellung aus, die Beziehung von Marianne und Héloïse steht für sich selbst. Sciamma kommentiert diese Entscheidung folgendermaßen: "Es ist modern und essenziell, heute über Frauen und ihre Intimität zu sprechen. Dass es kontinuierlich und seit jeher Fortschritte gab oder fortschrittliche Leute, die den Frauen mehr Freiheiten eingeräumt haben, und dass gleichzeitig leider diese Freiheiten oft von Neuem in Gefahr geraten. Das dürfen wir nicht vergessen, wir müssen vorwärts gehen, nicht rückwärts."

Auch im Hinblick auf die französische Filmindustrie ist, trotz Fortschritt, noch keine Gleichstellung der Geschlechter erreicht. Auf die Frage, ob ein Film wie "Porträt einer jungen Frau in Flammen" auf diese Weise vor 10 oder 15 Jahren möglich gewesen wäre, antwortet Adèle Haenel (Héloïse) mit einem entschiedenen, feministischen Statement: "Wenn die Frage ist: Ist das französische Kino heute Frauen gegenüber aufgeschlossener? Dann ist meine Antwort: Als Frauen können wir niemals in unserem Leben nicht kämpfen. Die Frage ist also nicht: Müssen wir kämpfen? Sondern: Wie kämpfen wir? Und ich sage, dass wir während dieses Kampfes lebendig sein müssen, das Leben in vollen Zügen wahrnehmen. Und das trifft ja auch zu, denn Feminismus ist eine freudvolle Revolution, es ist erfüllend, sich der Entfremdung zu entledigen. Das ist entscheidend, denn es sieht so aus, als müssten wir unser ganzes Leben lang kämpfen."

AVIVA-Tipp: Mit "Porträt einer jungen Frau in Flammen” ist Céline Sciamma ein poetisches Drama gelungen, das sowohl auf emotionaler als auch inhaltlicher und politischer Ebene Zuschauer*innen in seinen Bann zieht. Mit seinen kunstvollen Bildern und der atmosphärischen, authentischen Darstellung der Beziehung zweier Frauen bleibt er im Gedächtnis und wirkt noch lange nach.

Zur Regisseurin: Céline Sciamma wurde 1978 in Pontoise geboren. Ihr Langfilmdebüt nach eigenem Drehbuch gab sie 2007 mit WATER LILIES (OT: NAISSANCE DES PIEUVRES), mit dem sie in die Reihe Un Certain Regard des Festival de Cannes eingeladen wurde. Der Film, in dem sie bereits mit Adèle Haenel zusammenarbeitete, wurde auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet. Ihr zweiter Film, TOMBOY (2011), war Eröffnungsfilm des Panorama der Berlinale 2011, wo er mit dem Teddy Award geehrt wurde. Im Anschluss feierte TOMBOY eine lange Festivalkarriere, die mit etlichen Preisen geehrt wurde. Drei Jahre später legte die Autorin und Regisseurin mit MÄDCHENBANDE (OT: BANDE DE FILLES, 2014) ein Porträt einer Teenagerclique aus einem Pariser Banlieue vor, das seine Weltpremiere an der Croisette feierte und Sciamma eine César-Nominierung für die beste Regie einbrachte. Ihr PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN (OT: PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU) lief im Wettbewerb des Festival de Cannes und gewann eine Palme für das beste Drehbuch.

Zu den Hauptdarstellerinnen: Noémie Merlant, 1988 in Paris geboren, gab 2011 ihr Debüt auf der Kinoleinwand in Delphine Gleizes LA PERMISSION DE MINUIT (2011). Im selben Jahr besetzte sie Jacques Richard als Hauptdarstellerin seiner Komödie L´ORPHELINE AVEC EN PLUS UN BRAS EN MOINS (2011), die sie in die Vorauswahl als bestes Nachwuchstalent bei der Césars-Verleihung 2013 brachte. Nach Auftritten in Fernsehproduktionen wie "Julie Lescaut" oder "Enquêtes réservées" war sie 2014 wieder im französischen Kino zu sehen mit Kim Chapirons LA CRÈME DE LA CRÈME. 2014 stand sie auch in Marie-Castille Mention-Schaars Drama DIE SCHÜLER DER MADAME ANNE (OT: LES HÉRITIERS) vor der Kamera.
Ihre erste César-Nominierung folgte 2017 in der Kategorie Beste Nachwuchsschauspielerin für ihre schauspielerische Leistung in DER HIMMEL WIRD WARTEN (OT: LE CIEL ATTENDRA, 2016). Neben PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN (OT: PORTRAIT DE LA JEUNE FILLE EN FEU) zählt JUMBO, das Langfilmdebüt von Zoé Wittock, zu ihren aktuellen Projekten.

Adèle Haenel, 1989 in Paris geboren, startete ihre Karriere auf der Theaterbühne, bevor sie als 13-Jährige von Christophe Ruggia in LES DIABLES (2002) ihre erste Kinorolle erhielt. 2007 spielte sie einen Part in Céline Sciammas Debütfilm WATER LILIES (OT: NAISSANCE DES PIEUVRES), der in der Reihe Un Certain Regard beim Festival de Cannes lief.
2011 war sie mit EN VILLE von Valérie Mréjen und Bertrand Schefer sowie mit Bertrand Bonellos HAUS DER SÜNDE (OT: L´ APOLLONIDE (SOUVENIRS DE LA MAISON CLOSE)), in den französischen Kinos zu sehen. 2014 gewann sie den César als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in DIE UNERSCHÜTTERLICHE LIEBE DER SUZANNE (OT: SUZANNE, 2013) von Katell Quillévéré und war mit zwei Filmen beim Festival de Cannes vertreten: LIEBE AUF DEN ERSTEN SCHLAG (OT: LES COMBATTANTS, 2014), welches Haenel im Folgejahr den César als Beste Hauptdarstellerin bescheren sollte, sowie IN THE NAME OF MY DAUGHTER (OT: L´HOMME QU´ON AIMAIT TROP, 2014) von André Téchiné. 2017 kehrte Haenel als Castmitglied des gefeierten 120 BPM (OT: 120 BATTEMENTS PAR MINUTE) zurück an die Croisette. Das Drama über eine Gruppe von Aids-Aktivist*innen, von Robin Campillo inszeniert, gewann den Großen Preis der Jury in Cannes und war der große Abräumer bei den Césars 2018.

Quelle: Presseheft

Porträt einer jungen Frau in Flammen
Originaltitel: Portrait de la jeune fille en feu
Frankreich 2019
Darstellerinnen: Noémie Merlant, Adèle Haenal, Luàna Bajrami, Valeria Golino
Drehbuch & Regie: Céline Sciamma
Besetzung: Christel Baras
Szenenbild: Thomas Grezaud
Kostümbild: Dorothée Guiraud
Kamera: Claire Mathon
Schnitt: Julien Lacheray
Originalmusik: Jean-Baptiste de Laubier, Arthur Simonini
Ton: Julien Sicart, Valerie Deloof, Daniel Sobrino
Produktion: Bénédicte Couvreur
Filmlänge 120 Minuten
Bildformat 1.85:1
Ton 5.1
Verleih in Deutschland: Alamode Filmverleih
Kinostart: 31. Oktober 2019

Der Trailer ist online unter: www.youtube.com

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Beitrag vom 15.10.2019

AVIVA-Redaktion